Geologie Natur

Eine Hölle mit Badeparadies

Weil der Planet Erde niemals aufhört zu arbeiten, sieht Japan sich ständiger Gefahren ausgesetzt — kommt aber auch in den Genuss fruchtbarer Böden und vieler heißer Quellen.

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Es wallet und brodelt und brauset und zischt: Die Pazifische Platte gilt als Rowdy unter den Lithospährenplatten. Das sind riesige Schollen aus festem Gestein, die alle Kontinente und auch alle Weltmeere tragen und die auf einer superheißen Paste aus zähflüssigem Gestein — der Asthenosphäre — umhergleiten. Die gesamte Erdoberfläche besteht aus diesen Platten, die sich bisweilen aber in unterschiedliche Richtungen bewegen. Die Pazifische Platte nun, übrigens die größte aller Schollen, reibt immerfort an ihren Nachbarn herum, zwingt sie zum Abtauchen oder schiebt sich selbst darunter. So baut sie nicht nur im Sankt-Andreas-Graben in den USA immer wieder Spannung auf, die sich in Erdbeben entlädt. Sie erzeugt damit auch den so genannten ›Pazifischen Feuerring‹: die Kette der aktivsten Vulkane der Welt.

Nie endender Katastrophenfilm?

Die Inselgruppe, die wir heute als japanische Nation kennen, entstand innerhalb von vielen Millionen Jahren als Folge dieser immerwährenden Plattenbewegungen und bildet eigentlich ein riesiges Gebirge, dessen Gipfel und Hochebenen aus dem Meer ragen. Nicht nur, dass rund 75 Prozent der Fläche aufgrund zu steiler Berghänge weder bestellt noch besiedelt werden können: Die Lage im Pazifischen Feuerring sorgt auch dafür, dass Land und Leute niemals wirklich zur Ruhe kommen. Denn innerhalb der heißen Gesteinspaste brodelt und strömt es dauerhaft auf, ab und seitwärts, wie in einem Topf voller Haferberei auf mittelhoher Herdtemperatur. Diese heißen Ströme treiben die großen Erdplatten an, die sich dadurch immerhin bis zu zehn Zentimeter pro Jahr fortbewegen — und mittels kleiner und größerer Crashs miteinander ihr Werk verrichten.

Japan muss deshalb jederzeit mit unzähmbarem Ungemach aus der Natur rechnen. Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüche sind immer möglich. Das Bewusstsein dafür findet sich in allen kulturellen Aspekten des Landes, vom Shintoismus als Naturreligion über den Vulkan Fuji als berühmtestes und beliebtestes Bildmotiv bis zu den überlebensgroßen Monsterfiguren, die die gesamte Popkultur durchziehen. Das richtige Verhalten in Katastrophen gehört zur Grundbildung der Menschen, ausgefeilte Warnsysteme lassen niemanden uniformiert zurück.

Ein Land, ein Spa-Bereich

Im Gegenzug belohnt eine unglaubliche Fülle imposanter Naturerscheinungen das Leben in einer Umgebung, die uns Deutsche ständig in Alarm versetzen würde. In geologisch so aktiven Regionen wie in Japan reichen die Ströme aus heißem Tiefengestein bis nah an die Erdoberfläche heran. Dort heizen sie das Grundwasser auf, das dann emporsteigt und in Form von Thermalquellen austritt. Das geschieht längst nicht überall auf so spektakuläre Art wie beispielsweise bei den isländischen Geysiren. Doch kein anderes Land der Welt verfügt über so viele heiße Quellen wie Japan: Mehr als 2.800 sollen es sein. Die Stadt Beppu beispielsweise lockt mit ihren mehr als einhundert Thermenbädern aus dampfendem Tiefenwasser — das berühmteste heißt übrigens ›Beppu Hells‹ — jährlich das Zehnfache der Einwohnerzahl an Besuchern an.

Die richtige Kulisse für eine dauerhafte Inferno-Stimmung bieten die vielen aktiven japanischen Vulkane. Sie machen immerhin zehn Prozent aller weltweit noch nicht erloschenen Kratersysteme aus. Viele von ihnen lassen sich besuchen, wenn die Lage gerade nicht zu brenzlig ausfällt, und geben beeindruckende Bildmotive und sogar heilsame Bademöglichkeiten ab. Darüber hinaus gelten Böden aus Vulkanasche und -gestein als sehr fruchtbar und bilden damit einen wichtigen Faktor für ertragreiche Landwirtschaft.

55 Vulkane in Japan gelten als noch aktiv.

55 Vulkane in Japan gelten als noch aktiv.

Unbändige Gewalten

Vielfältige Kräfte und Prozesse entfalten in der Erdatmosphäre, auf der Erdoberfläche und im Erdinneren ihre Wirkung. Doch an den meisten Orten der Welt bleiben sie eher verborgen und unser Wissen darüber speist sich höchstens aus dem lange zurückliegenden Erdkundeunterricht oder aus ein paar Reportagen von National Geographic. Das Leben oder auch nur ein Besuch in Japan dagegen verleihen ein unmittelbares Gefühl dafür, wie viel Eigenleben unser blauer Planet führt, ohne dass wir darauf Einfluss hätten. Dem dürfen wir Respekt und Ehrfurcht entgegen bringen. Das dürfen wir auch zu unserem Vorteil nutzen. Ignorieren können wir es aber nicht. Denn es wird auch in den nächsten Jahrmillionen weiter wallen und brodeln und brausen und zischen.

Jojo

Seine Blogging-Erfahrung und sein Geographie-Studium machen ihn zum idealen Schreibtisch-Entdecker ferner Länder. Für die Texte auf japanfuchs.de scheinen seine Fingerkuppen beinahe schon mit der Tastatur zu verwachsen.

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  • Dani

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  • Jojo

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