Vending Machines Alltag

Im siebten Automaten-Himmel

Sie erleichtern das Leben, stellen im Katatstrophenfall eine Grundversorgung sicher und prägen Japans Straßenbild: Keine andere Nation der Welt wird so stark mit Vending Machines in Verbindung gebracht wie das Land der aufgehenden Sonne.

Beitragsbild für den Beitrag Im siebten Automaten-Himmel

Irgendwo in Deutschland: Gnadenlos brennt die Sonne auf den schon längst heißen Pflasterstein des lieblosen Bahnsteigs in irgendeinem Provinzstädtchen, genauso wie auf Kopf und Schultern des geplagten Reisenden. Auch mit Sonnenbrille muss er vor dem gleißenden Tageslicht die Augen zusammenkneifen, um erkennen zu können, wohin er sich mit letzten Kräften schleppt. Sein Ziel: der Getränkeautomat in der Mitte dieses Verkehrsanlagen-Nirvanas. Seine Kehle längst ausgetrocknet, erlaubt er sich ein letztes Quäntchen Hoffnung, während er mühsam Meter um Meter vorwärts schlurft. Jeder Atemzug reibt in der Lunge wie ein Schleifstein. Dann erreicht er den elektronisch gesteuerten Schrank der vermeintlichen Labsal. Doch: Wieder hält der nur ungenießbare Flüssigkeiten vor, versehen mit einem weiblichen Vornamen, wie in allen Automaten dieses teuflischen Transport-Unternehmens. Indem der Reisende die Dunkelheit begrüßt, die sich langsam über sein Bewusstsein senkt, kann er sich eines kleinen Triumph-Gefühls nicht erwehren: Diesmal entgeht er wenigstens der brutalen ICE-Bestie, die ihn ohne Klimaanlage in ihrem Inneren so gerne lebendig verdaut hätte ...

Keine Übertreibung

Unterdessen in Japan: Dass an japanischen Automaten getragene Damenunterwäsche verkauft würde, hält sich als Gerücht hartnäckig — ist aber falsch. Doch ansonsten avancierten die Vending Machines völlig zurecht zum Kult. Nicht nur bieten die Geräte diverse Artikel weit über das Getränke-Segment hinaus an, die jemand mal ganz kurzfristig brauchen könnte und deshalb unterwegs ganz dankbar aus dem Automaten zieht: Regenschirme, Krawattennadeln, Blumensträuße, Angelköder, Fische in Fischsoße, Bananen, Orangen, Eier, Socken — aber leider auch Hundewelpen. Verschiedene Hit-Listen im Netz präsentieren die kuriosesten Artikel, die sich in japanischen Automaten finden lassen. Das Hauptgeschäft machen aber immer noch die Getränke aus, deren Vielfalt ebenfalls unerreicht bleiben dürfte — vor allem im Vergleich zu den Getränkeautomaten an deutschen Bahnhöfen.

Mit einem Automaten pro 23 Einwohner erreichen sie noch dazu eine Dichte, die sie in Japan zu allgegenwärtigen Lebensbegleitern macht. In Tokyo beispielsweise bedeutet das: Über einen Quadratkilometer Stadtgebiet sind mehr als 660 Automaten verteilt! Die einheimische Bevölkerung lässt sich davon längst nicht mehr überraschen: »Japanese people are not surprised the country has so many vending machines. They are surprised that other countries don't.«, heißt es auf kotaku.com , denn: »Since vending machines are now a key part of the country's retail infrastructure, people are accustomed to not only seeing vending machines, but using them. At this point, it's less that vending machines are popular, and more that they are interwoven into Japanese society.«

In guten und in schlechten Zeiten

Die Verankerung der Automaten im Alltag Japans geht so weit, dass einige von ihnen im Fall einer Naturkatastrophe, etwa bei einem Erdbeben oder eine Tsunami, ihr Programm umschalten und kostenfrei Getränke ausgeben können. Solche Modelle verfügen dann auch über Notfall-Stromgeneratoren, um nicht vom Funktionieren des örtlichen Stromnetzes abhängig zu sein, das durch die Katastrophe ja durchaus in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Einer der Maschinen-Hersteller hat kurz nach dem Tōhoku-Erdbeben, dessen Tsunami-Welle die Fukishima-Katastrophe von 2011 auslöste, sogar eine per Handkurbel betriebene Version vorgestellt.

Der Verkauf von Waren per Automat scheint zumindest in Japan ein gutes Geschäft zu sein. Japanerinnen und Japaner seien grundsätzlich sehr beschäftigt und wüssten deshalb alles zu schätzen, was ihr Leben erleichtert, heißt es: »Moreover, where basic shops need a minimum of human interaction, vending machines work perfectly independently and are therefore available 24/hours a day. Not to mention the fact that they are easily accessible wherever you are.« Während die Preise an den Vending Machines in Japan zusätzlich auch noch konkurrenzfähig erscheinen, liegen sie an deutschen Automaten üblicherweise eher über dem Supermarkt-Niveau, was die Absatzahlen der angebotenen Produkte nicht eben steigert. Deshalb rechnen sich ähnliche Versuche hierzulande bislang noch nicht — und weil die deutschen Automaten, im Gegensatz zu den japanischen, mit höherer Wahrscheinlichkeit der mutwilligen Zerstörung zum Opfer fallen.

Das Erlebnis zählt

Eine neue Entwicklung ergab sich im vergangenen Jahr in Freiburg im Breisgau: Dort eröffnete im Hauptbahnhof ein Automaten-Supermarkt mit mehr als 300 Artikeln an 24 Automaten. Vor gut zwei Monaten konnte ich mich selbst davon überzeugen, dass ein Teil der Waren tatsächlich sogar aus regionaler Produktion stammt — von der Milch über die Pralinen bis zu den Wurstwaren. Auch Drogerie-Produkte wie Wundpflaster und Kopfschmerztabletten waren zu meinem Erstaunen erhältlich; der Pizza-Automat hatte aber leider keinen Teig mehr. Dennoch erfasste mich in Freiburg bereits eine gewisse Vorfreude auf das Automaten-Land der aufgehenden Sonne.

Leider bleibt es mir für den Moment verwehrt, den original japanischen Automaten-Kult hautnah zu erleben; eine individuelle Urlaubsreise nach Japan scheint in diesem Jahr nicht mehr möglich zu sein. Gleichzeitig freue ich mich aber genau darauf und werde, sobald ich vor Ort die Gelegenheit bekomme, auch frisch und ausführlich hier auf japanfuchs.de über meine Vending Machine Erlebnisse berichten. Die Aussicht darauf erleichtert mir sicherlich nicht unerheblich sämtliche Begegnungen mit den Getränke-Automaten an deutschen Bahnhöfen, die ich in der Zwischenzeit haben werde ...

Jojo

Seine Blogging-Erfahrung und sein Geographie-Studium machen ihn zum idealen Schreibtisch-Entdecker ferner Länder. Für die Texte auf japanfuchs.de scheinen seine Fingerkuppen beinahe schon mit der Tastatur zu verwachsen.

Neu auf japanfuchs.de

  • Götterfiguren Spiritualität

    Segen aus dem Stein

    Beitragsbild für den Beitrag Segen aus dem Stein

    Japan steckt voll von überraschenden Details. Wer sich auch abseits der klassischen Sehenswürdigkeiten neugierg umsieht, entdeckt sie und erfährt ihre Geschichten — beispielsweise über Jizō-Statuen.mehr

  • Japanreise Reise

    Und wir fliegen doch!

    Beitragsbild für den Beitrag Und wir fliegen doch!

    Auch die öffentliche Verwirrung um die geltenden Einreisebestimmungen in Japan können unseren lang gehegten Traum nicht ersticken. Ein Nerven-Krimi in drei Akten (mindestens ...).mehr

  • Popkultur Kultur

    Von Antiheldinnen und Superkräften

    Beitragsbild für den Beitrag Von Antiheldinnen und Superkräften

    Animes sind auch in Europa längst in der kulturellen Mitte angekommen. Was ich mit der Kunstform verbinde.mehr

  • Übernachtung Reise

    Kein Zimmer wie das andere

    Beitragsbild für den Beitrag Kein Zimmer wie das andere

    Eine in Bleibe in Japan zu finden, dürfte nicht schwer fallen. Aber welche Möglichkeiten abseits des klassischen Hotels bieten sich noch?mehr

  • Einreisebeschränkungen Reise

    Eiertanz an der Grenze

    Beitragsbild für den Beitrag Eiertanz an der Grenze

    Japan fürchtet derzeit kaum etwas so sehr wie die Öffnung seiner Grenzen — und sehnt sie gleichzeitig drängend herbei. Angesichts dieses Zwiespalts überdenken wir unsere aktuellen Reisepläne.mehr

  • Obon Spiritualität

    Allerseelen, aber fröhlich

    Beitragsbild für den Beitrag Allerseelen, aber fröhlich

    Mit den Geistern der Toten eine gute Zeit verbringen — Dank dieser Haltung sorgt das Totengedenken in Japan nicht für Trübsal, sondern für Ausgelassenheit. Die sommerlichen Tanzfeste zu diesem Anlass sind definitiv ein kuktureller Höhepunkt.mehr

  • Dani

    Sie schwingt für japanfuchs.de regelmäßig ihren Stift und zaubert Illustrationen, vom Charakter bis zur Szene. Daneben gibt sie praktische Tipps und teilt ihre langjährige Leidenschaft für Japan via Blogbeitrag.

  • Jojo

    Seine Blogging-Erfahrung und sein Geographie-Studium machen ihn zum idealen Schreibtisch-Entdecker ferner Länder. Für die Texte auf japanfuchs.de scheinen seine Fingerkuppen beinahe schon mit der Tastatur zu verwachsen.